Ende Juli erhöhte die Bank of Japan in einem kleinen, aber aufschlussreichen Schritt ihren Leitzins von Null auf 25 Basispunkte. Sie deutete auch bereits weitere Anhebungen an, wenn sich die makroökonomischen Bedingungen verbessern. Der Markt wurde von dieser Nachricht anscheinend überrascht und reagierte mit einem deutlichen Kursanstieg des Yen. Dies wiederum veranlasste Spekulanten, ihre auf Yen lautenden Kredite aufzulösen, die sie zuvor aufgenommen hatten, um höherverzinsliche Anlagen zu kaufen. Das primäre Opfer war der japanische Aktienmarkt, wo Beteiligungspapiere wahllos verkauft wurden.
Diese Situation illustriert einen klassischen Fall, bei dem eine kurzfristige Marktdynamik (die „voting machine“ oder „Abstimmungsmaschine“ in Benjamin Grahams berühmten Zitat) den umsichtigen langfristigen Anlegern (die „weighing machine“ oder „Abwägungsmaschine“) in die Hände spielen kann. Dass der Markt unmittelbar nach der Ankündigung der Bank of Japan nachgab, war nicht in sich ein „schlechtes Zeichen“, wie es von vielen Beobachtern intuitiv bewertet wurde. Die Aktienkurse fielen nicht, weil sich die wirtschaftlichen Realitäten in Japan plötzlich verschlechtert hatten. Sie fielen erstens, weil sich ein steigender Yen negativ auf die Positionen der Zinsdifferenzspekulanten auswirkt, und zweitens, weil die Algorithmus-basierten Handelsprogramme, die heutzutage die Aktivitäten auf dem Markt dominieren, mit überwältigender Mehrheit dem Trend folgen und damit eine vorherrschende Tendenz der Aktienkurse verstärken. Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass der Aktienhandel in Japan immer schon von Ausländern dominiert wurde, da die meisten japanischen Unternehmen und institutionellen Anleger eine Buy & Hold-Strategie verfolgen. Wir vermuten, dass viele ausländische „Anleger“ in Japan eher kurzfristige „Kapitalallokationstouristen“ sind. Und wenn sich ihre Trades nicht so entwickeln wie erhofft, dann beeilen sie sich zu verkaufen.
Das Anlageargument für unsere japanischen Aktien hat sich durch diese Entwicklungen beim japanischen Leitzins und beim Wechselkurs des Yen nicht verändert. Erstens ist ein höherer Leitzins in Wirklichkeit eine gute Nachricht und eine direkte Reaktion auf die solide Entwicklung, die durch eine positive Lohn-Preis-Dynamik vorgezeichnet wurde – etwas, das Japan nach drei Jahrzehnten erfolgloser Versuche nun endlich geschafft hat. Es stimmt, eine restriktivere Geldpolitik erhöht den Preis des Geldes und damit auch den Diskontierungssatz für die zukünftigen Cashflows, die von den Firmen generiert werden. (Interessanterweise sind allerdings die Renditen der langfristigen japanischen Staatsanleihen nach der Ankündigung der Zinserhöhung gesunken, so dass sich eine flachere Renditekurve ergab). Entscheidend ist aber, dass der kluge Anleger in seiner Bewertung bereits eingerechnet hat, dass Geld nicht ewig so gut wie kostenlos zu haben sein wird, auch nicht in Japan. Der für die Berechnung des Gegenwartswerts verwendete langfristige Diskontsatz für Aktien sollte daher durch den Anstieg des kurzfristigen Zinssatzes nicht wesentlich beeinflusst worden sein.
Ein weiteres oft vorgebrachtes Argument ist, dass ein stärkerer Yen den Exporteuren und Eigentümern von ausländischen Aktiva schadet, weil sich der höhere Wechselkurs durch die Transaktions- und Translationseffekte in ihren Büchern auswirkt. Dies mag, besonders für passive Aktienanleger, kurzfristig von Bedeutung sein, weil die grössten und bekanntesten japanischen Unternehmen, die in den wichtigen Indizes vertreten sind, in starkem Masse von ausländischen Einkünften bzw. Aktiva abhängen. Für langfristige Anleger ist dies weniger Anlass zur Sorge, da Unternehmen mit einem wettbewerbsfähigen Produktangebot üblicherweise gut mit einer starken Heimwährung klarkommen. Wenn wir uns Länder mit historisch sehr starken Währungen ansehen, wie etwa die Schweiz oder eben auch Japan, stellen wir fest, dass deren führende Exporteure im Lauf der Zeit in der Lage waren, sich anzupassen und weiterhin hervorragende Ergebnisse abzuliefern. Die meisten der japanischen Unternehmen, an denen wir aktuell beteiligt sind, generieren allerdings den grössten Teil ihrer Erträge im Inland, und auch der grösste Teil ihrer Aktiva liegt in Japan. In der Vergangenheit waren wir zwar stärker in exportorientierten Unternehmen engagiert, aber dank unserer Verkaufsdisziplin haben wir unsere Anteile an mehreren von ihnen bereits vor den jüngsten Marktturbulenzen verkauft, da ihre Kurse auf unseren konservativ errechneten inneren Wert gestiegen waren.
Die japanische Wirtschaft hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht, nachdem die Unternehmensreformen unter „Abenomics“ Mitte der 2010er Jahre zu greifen begannen. Diese Entwicklung kann weder durch höhere inländische Zinsen noch durch einen starken Yen gestoppt werden. Für die japanischen Führungskräfte gibt es heute Anreizstrukturen, um die Kapitalrenditen zu steigern, indem sie die betriebliche Effizienz optimieren, und um die Kapitalrückzahlungen zu verbessern, indem sie höhere Auszahlungen an die Aktionäre leisten - und das ist es, worauf es substanzorientierten Anlegern letztendlich ankommt.
Freundliche Grüsse
Gregor Trachsel
Chief Investment Officer SG Value Partners AG