Die wichtigen globalen Börsenindizes eilen derzeit von einem Rekord zum nächsten, angetrieben von beeindruckenden Kurssteigerungen bei den Index-Schwergewichten. Die meisten passiven Investmentvehikel sind darauf ausgelegt, diese Indizes nachzubilden. Welche Erwartungen hinsichtlich der Bewertung und damit des zukünftigen Renditepotenzials sich in den Indexwerten widerspiegeln, spielt dabei keine Rolle. Und solange der Aufwärtstrend auf den Märkten anhält, ist dies vielleicht auch kein Thema. Überdacht wird die Sache üblicherweise erst dann, wenn das positive Kursmomentum abflaut.
Bei der substanzorientierten Anlagestrategie entsteht dieses Problem schon allein deshalb nicht, weil ausdrücklich eine Einschätzung der Erwartungen vorgenommen wird. Das Ziel unserer Aktienauswahl ist die Identifikation von und die Investition in Unternehmen, deren derzeitige Aktienkurse Ausdruck von geringen Erwartungen hinsichtlich ihres wahren wirtschaftlichen Werts sind. Diese Disziplin sollte zu einem attraktiven Gesamtabschlag auf Portfolioebene führen, der die Grundlage für die Erzielung solider langfristiger Renditen bildet.
Derzeit sehen wir vier Hauptquellen, von welchen unser Portfolio von geringen Erwartungen profitieren kann. Erstens schätzen wir, dass viele unserer Unternehmen eine robustere Preissetzungsmacht für ihre Produkte und Dienstleistungen haben, als ihre aktuelle Aktiennotierung vermuten lässt. Beispielsweise können Unternehmen in Branchen wie Maschinenbau, Transport und Grosshandel üblicherweise ihre Preise nach der Cost-plus-Methode festlegen. Jüngste Widrigkeiten wie die Pandemie, die Störungen der Lieferketten und die Inflation bei den Inputkosten haben das Management von Auftragsdurchlauf, Produktion und Lieferung ausserordentlich erschwert. Diese Herausforderungen haben in vielen Fällen vorübergehend zu erheblichen Diskrepanzen zwischen den Gestehungskosten und den erzielten Preisen verursacht. Mit der allmählichen Stabilisierung der Geschäftsbedingungen wird sich ein neues Preisgefüge ergeben, das dann wieder attraktive normalisierte Bruttomargen möglich machen wird.
Zweitens haben die Unternehmen in unserem Portfolio beträchtliche, aber deutlich unterschätzte Mittel, ihren Preis/Volumen-Mix zu verbessern, indem sie ihr Produkt- und Leistungsangebot ausweiten. Zum Beispiel: Zellstoffproduzenten, die mit Zellulose nicht nur Taschentücher, Papier und Karton herstellen, sondern auch Bekleidung, Biokraftstoffe und Spezialmaterialien fertigen; Baustofffirmen, die sich von Lieferanten einzelner Komponenten wie Zement oder Glas zu Anbietern kompletter Gebäudehülle-Lösungen weiterentwickeln; Immobilienbesitzer, die Brachflächen für Projekte mit höherwertiger Nutzung revitalisieren; Konsumgüterproduzenten, die vom Eigenmarken-Lieferanten zum Markenhersteller aufsteigen; oder traditionelle Medienanbieter, die ihre Vertriebsplattformen überdenken und Inhaltspakete neu zusammensetzen.
Drittens beobachten wir bei Portfoliounternehmen, die in Branchen mit strukturell schwachem Wachstum tätig sind, dass diese oft ihre Kostenbasis effektiver senken, als ihnen zugetraut wird. Besonders in Sektoren mit einem hohen Grad an Massenproduktion, wie etwa Stahlerzeugung oder Landwirtschaft, blicken unsere Unternehmen über die aktuelle Phase des Konjunkturzyklus hinaus und arbeiten an der Verbesserung ihrer Ressourcen- und Arbeitsproduktivität, weil sie davon ausgehen, dass die Geschäftsbedingungen dauerhaft herausfordernd bleiben werden.
Und viertens wird das beharrliche Streben unserer Unternehmen nach einer besseren Kapitaleffizienz unterschätzt. Konzerne in Branchen mit hohen Fixkosten wie z.B. Telekommunikation, Versorgung und Kapitalgüterherstellung sehen sich permanent gezwungen ihre Investitionsrentabilität zu verbessern, ganz besonders dann, wenn der Zinsaufwand steigt. In diesem Punkt sind wir davon überzeugt, dass sich die hohe Kapitalbindung als Glück im Unglück erweisen kann: die Firmenchefs werden in der Regel dazu incentiviert, ständig das eingesetzte Kapital im Verhältnis zur normalisierten Ertragskraft des Unternehmens zu optimieren.
Fazit: Wir gehen davon aus, dass die Geschäftsmodelle unserer Unternehmen eine vielseitigere Wertschöpfung ermöglichen, als auf den ersten Blick zu erkennen ist. Wie oben ausgeführt, haben sich durch die jüngste Dynamik des operativen Umfelds erhebliche Aufholchancen ergeben, und zwar durch (1) eine grössere Preissetzungsmacht, (2) einen besseren Preis/Volumen-Mix, (3) eine schlankere Kostenstruktur und/oder (4) eine gesteigerte Kapitaleffizienz.
Im Lauf der Jahre hat unsere Anlagestrategie gezeigt, dass erhebliche und wiederkehrende Wertsteigerungen erzielt werden können, wenn man in Aktien ausgewählter Unternehmen investiert, bei denen das Gros der Anleger bereits „die Flinte ins Korn geworfen“ hat. Der grösste Vorteil daran aber ist, dass die von einer bewusst niedrigen Erwartungshaltung geprägte Investmenttätigkeit nicht davon abhängt, ob ein passives Aktien-Engagement bei den aktuellen Indexständen zukünftig eine attraktive Rendite verspricht.
Freundliche Grüsse
Gregor Trachsel
Chief Investment Officer SG Value Partners AG