Ansichten zu einer Contrarian-Strategie

CIO Insights 1Q2025

In den 2020er Jahren – geprägt vom Beginn der COVID-Pandemie vor fünf Jahren und dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine zwei Jahre später – haben sich die Prioritäten in der Geschäftswelt tiefgreifend verändert. In einem Grossteil der vorangegangenen zwei Jahrzehnte konnten sich die Chefetage auf Expansion konzentrieren — mit der Gewissheit, dass die Zentralbanken bei makroökonomischem Gegenwind einspringen würden. Die Devise lautete, Marktchancen zu nutzen und Umsätze zu steigern. Inzwischen aber geht es darum, auf mehrere externe Herausforderungen zu reagieren, darunter politische Umwälzungen in führenden Nationen und erhebliche Spannungen in den internationalen Handelsbeziehungen. Manche Beobachter sprechen schon von einer „Zeitenwende“ oder gar einer „neuen Weltordnung“. Entsprechend ist man auf Führungsebene der Firmen jetzt hauptsächlich damit beschäftigt, die Produktpalette zu überdenken, die Lieferkette umzuorganisieren und zu schützen, die Kosten zu begrenzen und die Bilanz zu stärken. Die jüngsten erratischen Bewegungen bei den Aktienkursen dürften ein Zeichen dafür sein, dass den Anlegern allmählich klar wird, dass sich viele Unternehmen vor allem im Problemlösungsmodus befinden.

Was wir hier deutlich machen möchten, ist, dass das Kursmomentum ein Börsenphänomen ist, welches die betriebliche Realität in den Unternehmen nicht widerspiegelt. Jeder umsichtige Manager weiss: Irgendwann brechen Trends, ändern sich Strukturen, treten neue Themen in den Vordergrund und irrt der vorherrschende Konsens. Wir sind davon überzeugt, dass wegen dieser Dynamik im aktiven Aktienmanagement eine Contrarian-Strategie einer konventionellen Anlagestrategie vorzuziehen ist. Ein substanzorientierter Anleger verfolgt naturgemäss eine Contrarian-Strategie, denn er steht einem ununterbrochenen Wachstum skeptisch gegenüber und nimmt stattdessen die Diskontinuität als den Normalfall an. Insofern ist diese „neue“ Realität für uns nichts Neues – sie ist vielmehr unser ganz normaler Modus Operandi. Aber was genau bedeutet der Contrarian-Ansatz für uns?

Eine Contrarian-Strategie bedeutet nicht, sich mit Gewalt gegen den Strom zu stemmen. Vielmehr lässt sie Raum für – und ermutigt – die Entwicklung von divergierenden Sichtweisen in Bezug auf Ideengenerierung, Analyse und Entscheidungsfindung. Sie umfasst sämtliche Überlegungen und Prozesse, die zum alltäglichen Portfoliomanagement gehören.

Erstens bedeutet der Contrarian-Ansatz im weiteren Sinne für uns, dass wir uns auf konservative Rendite-Annahmen stützen. Wir wollen nicht die Stimmung verderben, aber wir glauben, dass die meisten institutionellen wie auch privaten Anleger eher unrealistische Erwartungen haben, wenn man die Vielzahl der zukünftigen makro- und mikroökonomischen Herausforderungen berücksichtigt. Substanzorientierte Anleger sind hier einen Schritt voraus, denn ihr Aussenseiterstatus hat sie gelehrt, sich erreichbare Ziele zu setzen.

Zweitens sollten sich die Vorteile der Diversifikation und des Portfolio-Rebalancing – Kernaspekte unseres Portfoliomanagements – ganz besonders dann zeigen, wenn das Spektrum wahrscheinlicher Renditeergebnisse für einzelne Unternehmen breiter wird. Ebenso wichtig: Die Diversifizierung sollte nicht bloss auf die Risikostreuung abzielen – richtig umgesetzt, werden damit auch zusätzliche Chancen erfasst. Dagegen haben sich – ob aufgrund ihrer Konzeption oder von Natur aus – die konventionellen Aktienstrategien inzwischen sehr stark auf Wachstum und Momentum konzentriert, und das wahrscheinlich mehr, als den Anlegern allgemein bewusst ist.

Drittens suchen wir nach abweichenden strukturellen Gründen für eine Unterbewertung, statt spannenden Geschichten oder Themen nachzujagen, die die Börsenlieblinge nach oben treiben. Konkret liefern uns unsere „Wertnischen“ – bei denen Differenzierungsfaktoren wie Unternehmensgrösse, Eigentumsverhältnisse, geographische Reichweite, Umfang der Geschäftsbereiche, Reifeprofil, Investitionsbedarf, Finanzstruktur und Positionierung in der Wertschöpfungskette berücksichtigt werden – vielversprechende Wegweiser, mit deren Hilfe wir Schnäppchen entdecken.

Und viertens scheint in einer Zeit, in der kurzfristige Gewinnmaximierung zur Verhaltensnorm geworden ist, auch Geduld eine seltene Tugend zu sein. Der Kauf von verschmähten Aktien ist eine Strategie, die sich nicht schnell und vorhersehbar auszahlt, sondern (1) über längere Zeit und (2) zu unerwarteten Zeitpunkten Früchte trägt. Ob es uns nun gefällt oder nicht, aufgeschobene Belohnung ist ein zentraler Grundsatz im Bereich des Sparens und Anlegens.

Stehen wir wirklich vor dem Beginn einer neuen Weltordnung? Wir wissen es nicht, die Geschichte wird es zeigen, und wir vermeiden es gemeinhin, derart weitreichende voreilige Schlüsse zu ziehen. Wovon wir aber überzeugt sind, ist, dass eine gesunde Dosis Contrarian-Denkens jedes ausgewogene Portfolio ergänzt. Die Momentum-Strategie mag für die letzte oder vielleicht sogar die letzten beiden Generationen von Anlegern sehr gut funktioniert haben, aber die Vernunft sagt uns, dass wir uns nicht ewig darauf verlassen sollten.

Freundliche Grüsse

Gregor Trachsel

Chief Investment Officer SG Value Partners AG